Tatort Amper - ein Krimi aus dem Dachauer Moos

Annamirl runzelte die Stirn. Es hatte den ganzen Morgen geregnet. Jetzt, gegen zehn Uhr, hatte es endlich aufgehört. Aber es sah so aus, als könnte es jeden Moment wieder anfangen. Sie hasste es, wenn das Auto nach nassem Hund roch. Andererseits würden die beiden sich sicher nicht lange stillhalten, ohne ihren Auslauf. Außerdem freute sie sich schon sehr auf den Spaziergang.
„Na, das Wetter wird schon halten. Und ihr zwei seid ja auch nicht aus Zucker. Genauso wenig wie ich.“
Kurzentschlossen packte sie eine Regenjacke und ein paar Ersatzschuhe in den Kofferraum. Einen Moment überlegte sie, ob sie vielleicht die Gummistiefel brauchen würde, entschied sich dann aber dagegen. Nach kurzem Nachdenken legte sie aber noch zwei große Handtücher neben die Schuhe, bevor sie die beiden Scottish Terrier auf den Rücksitz bugsierte und anschnallte.

Eine Viertelstunde später bog sie auf den Parkplatz nahe dem Amperwehr. Überall standen Pfützen, es tropfte von den Bäumen, und die Wolken hingen schwarz und bedrohlich am Himmel. Kein Wetter, bei dem man normalerweise einen Spaziergang machte. Aber zumindest war es nicht mehr so schwül. Annamirl beschloss, es darauf ankommen zu lassen, zog aber zur Vorsicht die Regenjacke an, die sie offenließ. Mit ihrer wasserdichten Beschichtung hätte sie ihr sonst nur den Schweiß aus allen Poren getrieben. Odin stürzte sofort zu der ersten Brücke Richtung Altamper, um eine Amsel vom Geländer zu verbellen. Schimpfend flog der Vogel in den nächstbesten Baum und machte von dort aus lautstark klar, wie ungehörig er ein solches Benehmen fand. Der Hund aber setzte sich auf die Hinterbeine und schaute mit schiefgelegtem Kopf zu ihm empor, als könnte er gar nicht verstehen, worüber der sich so aufregte.
Loki dagegen lief zielstrebig auf die Brücke. Er wusste genau, wohin sein Frauchen wollte. Über die Brücke drüber und vor der zweiten links acht Stufen runter und rein ins Grünzeug. Dort roch es immer so interessant. Für einen Hund ein Paradies. Auch Annamirl liebte diesen Abschnitt der Amperauen ganz besonders, denn man hatte schon nach wenigen Metern das Gefühl, mitten im Dschungel zu sein. Gut, ein Dschungel ohne Lianen und dementsprechend ohne einen gutgebauten Tarzan, der sich, nur mit einem knappen Lendenschurz bekleidet, von Ast zu Ast schwang. Aber das Gefühl, mitten in einer unberührten Wildnis zu stecken, war ja auch etwas Schönes. Wer brauchte da Tarzan?
Sie hatte jedoch kaum die erste Brücke betreten, als Loki plötzlich davon schoss, ohne sich um Annamirls Rufen zu scheren. Stattdessen fing er an, wie wild zu bellen, und wollte gar nicht mehr aufhören. Dann preschte auch Odin los und Annamirl zwangsläufig hinterher. Schon nach wenigen Metern blieb sie abrupt stehen. Mitten auf der zweiten Brücke lag ein Mann, und Loki stand daneben und bellte sich die Seele aus dem Leib. Dass der Mann tot war, daran bestand kein Zweifel, schon wegen des großen roten Flecks auf der Brust. Einen Moment stand Annamirl da wie erstarrt, die Hand vor den Mund geschlagen. Hysterisch loszuschreien oder wegzulaufen, kam ihr gar nicht in den Sinn. Vielmehr ging sie ein paar Schritte näher heran – und bekam gleich den nächsten Schreck: Der Tote war niemand anders als Stefan Brunner.
Ungefähr drei Meter von ihm entfernt lag eine Schusswaffe.
„Ein Revolver … nein, kein Revolver.“ Annamirl schüttelte über sich selbst den Kopf. „Das hier ist eine Pistole. Und ganz sicher keine Schreckschusspistole.“
Energisch riss sie den Blick von der Waffe los, holte tief Luft und zog ihr Handy aus der Tasche, um die Polizei zu rufen. Da lenkte sie ein Winseln ab. Odin saß etwas abseits neben einer zusammen geknautschten Jacke oder dergleichen und jammerte leise das Geländer der Brücke an. Genaugenommen ein ganz bestimmtes Stück. Ein Stück, um dessen Handlauf etwas geknotet war. Da musste etwas Schweres hängen. Neugierig trat Annamirl an das Geländer und spähte hinunter.