Rätselhafte Samstage
„Wenn ich es dir doch sage: Sie schließt sich jeden Samstag im Bad ein und ich musste ihr versprechen, nie zu fragen, was sie da macht.“ Harro kippte den Rest seines Bieres in einem Zug hinunter. Es war sein viertes und er wurde langsam redselig.
Sein Freund Ernst, der schon beim fünften Bier war, winkte ab. „Schönheitspflege, ganz bestimmt. Ich sage dir, die zieht da alle Register mit Gurkenmasken und Honigpeeling oder wie das alles heißt. Sei froh, dass du sie da nicht anschauen musst.“
„Kann ich mir nicht vorstellen“, widersprach Harro und stach mit seinem Zeigefinger ein Loch in die Luft. „Meine Frau ist eine Schönheit, die so was nicht nötig hat!“
Und damit hatte er absolut Recht. Sylvie sah geradezu atemberaubend aus. Warum sie ausgerechnet Harro geheiratet hatte, verstand niemand, am wenigsten Harro selbst. Er war so stolz gewesen, als sie seinen schüchtern gestotterten Antrag überhaupt in Erwägung gezogen hatte. Ihre Bedingung hinsichtlich der Samstage hatte er leichten Herzens akzeptiert.
Aber nun, drei Jahre später, fraß ihn die Ungewissheit fast auf. Was trieb diese Frau einen ganzen Tag im Badezimmer? Ein anderer Mann konnte ja wohl kaum dahinter stecken. Das Bad war nicht gerade groß Und nicht besonders anheimelnd mit den weiß gekachelten Wänden. Die Badewanne war groß, das schon, aber für einen gemütlichen Tag zu zweit dann doch nicht groß genug. Vor allem hätte dann einer von beiden auf dem Stöpsel sitzen müssen. Andererseits konnte Harro das nicht aus eigener Erfahrung beurteilen, denn Sylvie hatte seinen Vorschlag, doch mal bei Champagner und Kerzenschein zu zweit zu baden, vehement abgelehnt. Sie hatte sein Ansinnen so anstößig gefunden, dass er Stunden gebraucht hatte, um wieder ein Lächeln auf ihre perfekten Lippen zu zaubern. Also kam ein Bad mit einem Liebhaber wohl auch kaum in Frage.
Außerdem hatte das Badezimmer kein Fenster. Es hätte also ohnehin niemand von draußen einsteigen können, selbst wenn die Wohnung nicht im dritten Stock gewesen wäre. Wie aber hätte Sylvie einen Mann durch die Wohnung ins Bad schmuggeln sollen? Und dann auch noch ausgerechnet in den ungemütlichsten Raum der ganzen Wohnung. Harro schüttelte den Kopf. Nein, an einem anderen Mann konnte es nicht liegen. Obwohl die Männer vermutlich Schlange stünden, wenn seine Frau es darauf anlegen würde. Es gab niemand im ganzen Bekanntenkreis, der sie nicht bewunderte. Bewunderte und wahrscheinlich auch begehrte. Das merkte er an den neidischen Blicken, die ihm galten. Wahrscheinlich war der eine oder andere auch lüstern genug, um sogar mit den kalten Kacheln im Bad vorliebzunehmen. Aber jeden Samstag über Jahre hinweg? Kaum. Höchstens vielleicht jedes Mal ein anderer. Unsinn, das war absurd. Und wie hätte Sylvie denn schon vor ihrer Heirat wissen können, dass sie ihn künftig jeden Samstag betrügen wollte.
„Wer weiß“, riss Ernst Harro da aus seinen Gedanken. „Wer weiß schon, wie sie aussieht, ohne all die Schönheitsmittelchen …“
Harro brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass Ernst von Sylvie sprach. „Ich weiß es“, polterte er dann los. „Willst du etwa behaupten, ich wüsste nicht, wie meine Frau in natura aussieht?“
„Na ja, vielleicht hast du sie ja noch nie ohne Make-up gesehen. Mit Schminke kann man eine Menge machen …“ Ernst kippte sein sechstes Bier. Den eine oder anderen Schnaps hatte er auch schon intus und er schwankte schon ein wenig.
Aber das gab ihm noch lange nicht das Recht, so abfällig über Sylvie zu reden. Harro spürte, wie Ärger in ihm aufstieg. „Du bist ja nur neidisch, weil sie mich geheiratet hat“, behauptete er.
„Pah!“, Ernst lachte auf. „Du warst der Einzige, der dumm genug war, sie zu fragen. Sowas heiratet man doch nicht!“
„Sowas? Was meinst du mit sowas?“ Harros Ärger schlug in heißen Zorn um. „Los, sag schon!“
Ernst legte den Finger an die Nase und grinste Harro dann an. „Na, sowas halt“
Seine Aussprache war inzwischen verwaschen, aber Harro verstand ihn nur zu gut. Ehe er selbst begriff, was geschah, sprang er nach vorn, packte seinen besten Freund am Hals und drückte zu. Ernst stieß einen erstickten Schrei aus und taumelte zurück, aber Harro ließ nicht los.